Atemluft

von Felix Erdmann

Wir leben in den Trümmern der Geschichte.
Das weißt Du nicht?
Man übersieht es leicht, denn ihre Dichte
ist so, dass sie der Luft zum Atmen gleicht.
Sie strömt uns ständig stickig ums Gesicht,
um jeden Stein, aus jedwedem Gedicht,
und wenn sie schließlich aus den Lungen streicht,
dann krümmt sie wie der Wind die alte Fichte
als faule Luft, die uns zum Leben reicht.
Durch alle Orte streut sie die Gewichte
und doch verfliegt sie eilig mit dem Licht,
als wäre sie vor allen Dingen leicht –
erst wenn die Sonne stehen bleibt
und sticht und wenn die Luft zu sehr der Hitze weicht,
merkt man, wie sehr sie uns das Denken bricht.
Die ganze Welt erscheint in ihrem Lichte
und während sie uns Trümmerzöpfe flicht,
vermacht sie uns wie ihrer kleinen Nichte,
die vor der Last der Erbschaft schier erbleicht,
die kollektive, korrumpierte Sicht,
die sich in unsre trägen Seelen schleicht
und trotz konstant verbesserter Berichte
als unbewusste, unsichtbare Gicht
in unserem Veränderungswillen laicht.
Und doch: Wir sind auf Progression geeicht
und durch die Trümmerlöcher weht die schlichte,
doch stetig auf Enttrümmerung erpichte
und lindernd kühle, kollektive Pflicht,
auf deren frische Luft man nicht verzichte:
Dass man sie, sei sie sperrig, sei sie seicht
zu allen Zeiten weiterhin bespricht –
als Atem in der dicken Trümmerschicht.