Ich meine was, was du nicht meinst

von Clara Lösel

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist weiß.
Für mich sieht die Wolke wie´n Drache aus
Und für dich wie ein Eis.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist pink.
Ich bin politisch eher Mitte
Und du bist eher links.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist grün.
Ich poste gerne viele Bilder
Und du bleibst lieber anonym.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist schwarz.
Ich mag Hunde und hör gern Klassik,
Du magst Katzen und hörst Charts.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist braun.
Ich glaube an Gott, du glaubst an Allah.
Beide haben ihren Raum.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist grau.
Ich hab dich immer als Mann gesehen.
Du selbst siehst dich als Frau.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist blau.
Ich finde einen Politiker inkompetent.
Und du, du findest ihn schlau.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist gold.
Du hättest lieber keine Sommersprossen.
Ich hab die immer gewollt.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist gelb.
Ich geh demonstrieren und du bleibst zu Hause,
Jeder, was er für das Richtige hält.
Und das ist okay.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist rot.
Ich finde, Liebe kann alles sein,
Und du – du findest das doof.

Und da hört Freiheit für mich auf,
Weil sie nur so weit reicht
Bis sie die Freiheit von anderen berührt,
Weil Gleichheit keiner Freiheit weicht.

Ich meine was, was du nicht meinst,
Und das ist rot.
Manche Menschen sind wegen
Meinungen anderer Menschen tot.
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Ich meine was, was du nicht meinst.
Und das ist auch okay.
Weil was du meinst nicht das sein muss,
Was ich genauso seh.

Weißt du, wir sind alle anders,
Und weißt du, wär ich du,
Mit deinem Leben und deinen Gefühlen,
Würd ich vermutlich das Gleiche tun – und meinen.

Und weißt du, nur weil du und ich
Verschiedene Dinge mein´
Heißt das nicht, wir können nicht reden
Oder Freunde sein.

Weil ich bin ich
Und du bist du.
Ich öffne mein Kopf
Und ich hör dir zu.

Ich will verstehen, was du meinst,
Auch weil ich davon lerne,
Und jedes Mal, wenn wir reden,
Entsteht ein bisschen weniger Ferne.

Und weißt du noch was? Ich bin stolz,
Dass ich eine Meinung habe.
So stolz, dass ich sie
Wie eine Krone trage.

Und dass ich sie halte und dass ich sie ändere,
Weil es nicht mehr genug ist zu meinen.
Man muss auch reden und handeln,
Auch wenn Dinge verloren scheinen.
Vielleicht gerade dann.

Weißt du: Gerade ist keine Zeit
Für Meinungen, die leise sind.
Keine Zeit zum Schweigen,
Wenn man merkt, dass was nicht stimmt.

Keine Zeit zum Stillhalten,
Kriege toben, die Erde brennt.
Tiere sterben, Menschen fliehen.
Gerade ist die Zeit, die drängt.

Gerade ist die Zeit zum Meinen,
Zum seine Meinung sagen.
Zum Widerworte geben.
Zum kritisch hinterfragen.

Zum Dinge selber machen.
Zum neue Dinge wagen.
Zum einen Lautsprecher
Statt einem Maulkorb tragen.

Gerade ist die Zeit der Mutigen
Und nicht die für die Feigen.
Zeit um seine Meinung
Mit Trompeten und Posaunen zu geigen.

Weißt du: In einer Zeit, wo Meinungsfreiheit
In so vielen Ländern
Auf der Kippe steht
kann ich nicht sagen, ich kann nichts ändern.

Und ich geb dir ein Versprechen,
Für mich und diese Erde,
Dass ich jeden Tag ab jetzt
Meine Meinung leben werde.
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Ich meine was, was du auch meinst
Und was auf ewig währt:
Jeder Mensch hat seine Meinung
Und jeder Mensch ist gleichviel wert.

Ich meine was, was du auch meinst,
Und das ist verdammt wichtig:
Nur, weil ich was meine,
Heißt das nicht, es ist für dich richtig.
Und andersrum.

Und weißt du, da ist diese Freiheit,
Ein Gefühl von Dankbarkeit,
Ein Gefühl von Mut und Demut,
Das mir dieses Wissen leiht.

Dass ich meine habe
Und du deine.
Das ist die Freiheit,
Die ich meine.