Du stehst da

von Franziska Busmann

Mit deinem zehnten Glas Rum-Cola in der Hand
Mit deinem dicken Bauch und deinem glänzend roten Gesicht
Und erzählst mir was, von dem Mädchen, das du magst
Das du vorgibst zu mögen
Denn wenn du sie wirklich mögen würdest
Müsstest du dann zu mir sagen, dass du sie toll findest, und mit toll meinst du vor allem gutaussehend
OBWOHL sie weder dicke Titten noch einen großen Arsch hat?
Und in diesem Moment setzt mein Herz kurz aus
Denn jetzt sehe ich mich aus deinen Augen
Bewerte meine eigenen Brüste, meinen eigenen Hintern aus deinen Augen
Und das ist so ein ekliges Gefühl
So verdammt eklig.
Und mein Herz setzt aus und meine Mimik entgleist
Weil das Gefühl so echt ist, dass ich es nicht kontrollieren kann
Aber das ist nur so kurz, dass du es nicht sehen kannst
Denn du bist erstens besoffen
Und zweitens achtest du nicht auf sowas
Warum auch
Du bist ja ein Kerl, der seit einer halben Stunde ununterbrochen redet
Dir reicht es, wenn ich ab und zu nicke und dich angucke
Deine Wahrnehmung ist überhaupt nicht geschult darin zu erkennen, wenn jemand etwas in seiner Mimik verrät, dass er oder sie nicht zeigen will
Du bist überhaupt nicht geschult darin, darauf zu achten, was andere fühlen und denken, aber nicht sagen
Weil das ist dir doch egal
Du bist ja ein Kerl, der seit einer halben Stunde ununterbrochen redet und besoffen ist
Und du bist stolz
So stolz
Darauf, dass es dir EGAL ist, dass das Mädchen, dass du vorgibst zu mögen keine dicken Titten oder einen fetten Arsch hast
Du scheinst zu denken, dass das toll ist
Das du damit weniger oberflächlich bist

Und mein Herz klopft und ich will weinen.
Ich will weinen, weil ich wütend bin.
Ich will weinen, weil ich wütend bin und nie gelernt habe, meine Wut zu zeigen.
Weil ich stattdessen gelernt habe, wie ich erkennen kann, was jemand wirklich fühlt oder denkt.
Wenn seine oder ihre Mimik entgleist.
Weil ich gelernt habe, anderen ein gutes Gefühl zu geben.
Also auch dir.
Und ich hab das so gut gelernt, dass ich es nicht mehr steuern kann.
Ganz automatisch weiß ich, dass du dir nach diesem Satz ein bewunderndes Lachen wünschst.
Und schon kommt es.
Wenigstens haben meine echten Gefühle mich kurz so umgehauen, dass es nur noch ein Lächeln wird und ich aktiv Geräusche hinzufügen muss, damit es sich anhört, als würde ich Lachen.
Aber das merkst du ja nicht.
Es ist dir wahrscheinlich auch egal.
Genauso egal, wie dir das Mädchen ist, was du vorgibst zu mögen.
Denn würdest du wirklich ein Mädchen mögen, dann wüsstest du vielleicht, wie scheiße Männer wie du sind.
Und ich bin sauer und traurig und unsicher.
Ich fühle mich entwertet.
Denn erstens habe ich keine dicken Titten und keinen fetten Arsch.
Und zweitens sollte mir das eigentlich egal sein.
Denn ich habe einen Freund, der mich so liebt wie ich bin. Dem es wichtig ist, wie es mir geht und nicht wie ich aussehe. Der mich fragt, ob ich mich wohlfühle, wenn er mich berührt.
Und weil es mir mittlerweile wichtiger ist, wie es mir geht als wie ich aussehe. Weil ich langsam anfange, mich zu lieben und zu akzeptieren. Weil ich langsam anfange, für mich einzustehen. Herauszufinden was ICH will und was ich fühle. Statt nur zu überlegen, was andere wollen und was andere fühlen und was es heißt, wenn ihre Mimik entgleist.
Weil ich versuche, nicht mehr hervorzusehen, was andere wollen und mich daran anzupassen.
Weil ich versuche, das zu tun, was ich will.
Aber genau jetzt, hier in diesem Moment geht es nicht.
Denn du bist der Freund von meinem Freund.
Und ich will, dass du mich magst.
Cool findest, witzig.
Obwohl ich dich weder cool noch witzig finde. Sondern unhöflich, ungepflegt und irgendwo steckengeblieben.
Also stehe ich hier und übergehe mich selbst. Ganz automatisch.
Weil es das ist, was ich kenne, was ich gelernt habe.
Ich, 23, erfolgreiche Bachelorabsolventin, Abschlussarbeit Thema Objektifizierung der Frau. Ich, die ich Simone de Beauvoir lese und meiner kleinen Schwester erklären will, dass es egal ist wie groß ihre Brüste sind.
Ich, die sich doch eigentlich verändert hat, werde genau in diesem Moment überrollt von meinem anderen Ich, das jahrelang gelernt hat ja zu sagen und zu nicken und bestätigend zu lachen.
Und das ist viel schlimmer als das, was du bist.
Das ist der Grund, warum ich eigentlich weinen will.
Weil nicht DU mir das antust.
Weil ich es mir selbst antue.