Zum Glück sitzt da dieses Mädchen neben mir, das ich volllabern kann:
„1977 sang der alte Hippie Bowie seinen Superhit zum ersten Mal. Genau fünfzig Jahre später haben wir den Refrain von `Heroes´[i] gesampelt. Und jetzt gehts auch schon los. Achtung – Kamera ab!“ Langsam drehe ich den Sound auf.
we can be heroes
just for one day
we can be heroes
just for one day
we can be heroes
just for one day
So nervtötend, unser Jingle, denke ich, zu dem sich die Welt allabendlich vor dem Bildschirm vereint, um sich selbst zu retten. Während ich innerlich den Kotz-Smiley mache, erkläre ich dem Mädchen neben mir:
„Unsere Dokusoap `Heroes´ ist ein Kassenschlager und wir senden immer live.“ Hoffentlich ist die schon 16, zwar liegt ein grauer Schleier auf den Zähnen, aber tolle Augen: Dunkle Ringe umgrenzen ihre strahlend blaue Iris.
„Anfangs liefen die Länderausgaben einmal wöchentlich“, fahre ich fort, „inzwischen kriegt es die Menschheit jeden Tag. Als Regisseur der deutschen Ausgabe trage ich verdammt viel Verantwortung – diese Variante benötigt besonderes Feingefühl. Natürlich ist alles KI-konzeptioniert, aber die deutsche Mentalität ist ja speziell.“ Immer diese Nazischeiße, mit der ich unterhalb der Nachweisgrenze spielen soll, führe ich in Gedanken fort.
„Aber jetzt sag mal, wie heißt du überhaupt und wie alt bist du? Du willst über uns schreiben, hab ich gehört?“ Immer schön interessiert tun, motiviere ich mich, wirkt gut auf meine Aura[ii].
„Ja also, ich bin Martha und ich bin 17. Ich schreib gerade n Artikel für unseren Schülerblog, auch über eure Serie. Find ich wirklich cool, dass ihr euch für den Klimaschutz einsetzt. Meine Lehrerin kennt hier wen und der meinte, ich könnte dir mal über die Schulter gucken.“
Ich lächele bewusst breit und nicke. „Ja, klar, machst du ja schon. Wenn du Fragen hast, immer raus damit!“ Sie ist 17, freue ich mich.
„Cool, danke. Also, wie sind Anouk und Jo denn an ihre Rollen als Hauptdarsteller in eurer Serie gekommen?“ Scheu ist sie nicht, die Kleine, gefällt mir immer mehr. Will wohl Schauspielerin werden und rechnet sich was aus durch mich.
„In den USA gab es Heroes ja schon, bevor Coogle, Cetlix und Ceta zum Medien-Monopolisten THE WORLD fusionierten. Als dann nach ihrer Fusion bekannt wurde, dass es eine deutsche Ausgabe geben würde, rissen sich Massen von Eltern darum, uns ihre Kids als Hauptdarsteller anzubieten.“ In den Rachen zu schmeißen wohl eher, korrigiere ich mich stumm.
„Anouk und Jo waren die screentauglichsten. Ihre Namen und den Style hat ein Logarithmus aus den deutschen Userdaten von THE WORLD errechnet und schwupps, waren die beiden unsere Helden. Das Script kommt übrigens aus meiner Feder. Ich will mich ja nicht selber loben, aber heute finde ichs besonders chic, hör mal:
„Anouk und Jo führen den Demonstrationszug an,“ lese ich vor, „seine Hand ergreift die ihre und gemeinsam halten sie ein Transparent in die Höhe: `Safe THE WORLD!´“
„Ja, ist gut“, murmelt Martha. Ein bisschen mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf, sonst wird das nichts mit deiner Karriere, würde ich ihr gern antworten. Aber ich habe Besseres zu tun, meinen Job zu machen zum Beispiel. Gerade muss ich kontrollieren, ob sich die Helden an mein Skript halten. Sie setzen die Szene göttergleich um, bestätigt mir ein Blick auf den Screen. Perfekten Avataren gleich sind die beiden völlig echt und das ist unser Trumpf.
„Angesichts all der künstlich generierten Schönheiten der letzten Jahre lechzen die Menschen nach Fleisch und Blut“, sinniere ich laut. Als Martha nicht antwortet, blicke ich kurz auf. Sie wirkt irritiert. Wie naiv ist die eigentlich? Besser, ich halt jetzt meine Klappe. Wenn die mich gleich die Sendung kommentieren hört, wird sie sowieso hin und weg sein. Und spätestens nach ein paar Nahaufnahmen von Jo ist sie voll auf Kurs. Die Menschen vergessen ihre Skepsis darüber, durch das bloße Ansehen einer Serie den Klimawandel stoppen zu können, indem sie in die hübschen, aber natürlichen Gesichter schauen. Wenn Jo lächelt, hauts sogar mich um, obwohl ich 100 Pro hetero bin. Und er tut, was er soll, genau 30 Sekunden hat er gestern seine Faust gereckt, damit wir eine lange Einstellung seiner Digiwatch in der Totalen senden konnten. Der Berliner Hersteller musste Hunderttausend dafür blechen, natürlich ist das productplacing der brands lokal angepasst.
„Marschiert los!“, befehle ich den Chips in ihren Ohren. Anouk und Jo können nicht selber denken, schon gar nicht politisch. Das nehm ich ihnen gerne ab. Voller Grazie führen sie dafür den Demonstrationszug schlecht bezahlter Statisten an. Freitags-Greta mit ihrem stieren Blick hat abgedankt, inzwischen ist die eh Uromi, zumindest medienmäßig und Autismus ist längst abgegrast. Wegen des Markenrechts durfte sie ihren fuckin´ Friday behalten, aber da streikt keiner mehr.
Meine ideal bearbeitete Stimme kommentiert den Auftritt unserer hirnlosen Beautys aus dem Off:
„Friedenstauben gleich strahlen Anouks Zähne in der Sonne.“ Ich muss warten, bis der Werbebanner für Zahnweißer wieder ausgeblendet wird. In Marthas Richtung sage ich:
„Auch die Kommentare schreib ich alle selbst.“ Nun kommt das Glanzspray an die Reihe:
„Dazu bilden Jos schwarzglänzende Haare den Kontrast, der jene Energie erzeugt, die ihr großer Kampf fordert.“
Ich hatte ganz verdrängt, was für einen Bullshit ich in letzter Zeit schreibe, hoffentlich hört Martha nicht genau hin. Den jetzt folgenden Kommentar verwende ich aus Faulheit immer wieder:
„Seit Anouk und Jo mit der WORLD-Bewegung eine kalte Revolution ausgerufen haben, bleibt am Wenden-Wednesday die halbe Menschheit Zuhause.“
Was für ein Zufall, dass wir mittwochs inzwischen eine Doppelfolge ausstrahlen, triumphiere ich still, mit vierfacher Werbedichte, versteht sich.
„Kein Grad weiter lautet unser Ziel“, brülle ich ins Mikro. Und – guilty pleasure – die Weltherrschaft unseres Konzerns THE WORLD lautet der Zweck, füge ich in Gedanken hinzu. Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder, so ehrenlos! Dabei ließe sich der Klimawandel längst rückgängig machen, hätte THE WORLD nicht ihre Finger im Spiel. Jedes Unternehmen, das Anstalten in diese Richtung macht, wird ja unverzüglich von uns aufgekauft. Wie Mücken vom Blut lebt THE WORLD vom Klimawandel. Die schön verpackten Katastrophenmeldungen sind unser täglich Brot. Wie heißt es doch so schön, Brot und Spiele braucht das Volk? Indem THE WORLD die Folgen des Klimawandels medial nett aufbereitet, unterhält sie die Bevölkerung, damit die auf keine blöden Ideen kommt. Und von all dem ahnen solche süßen Dinger wie Martha ebenso wenig wie der Rest der verblödeten Menschheit.
„Hört auf, die Prepper[iii] anzulächeln“, flüstere ich meinen Revolutionsführern gerade ein und dabei blicke ich meinem neuen Mädchen tief in ihre Augen, „die sind out, haben die neusten Umfragen ergeben. Dreht euch lieber ein bisschen zu den rassistischen Glatzköpfen, Querfront wird jetzt wieder hip.“
Warum machen die das nicht? Kann ich verstehen, aber müssen sie – ist neue Leitlinie. Ich will die beiden gerade ermahnen, als unser Babo[iv], der Producer dieses Schrotts, auf mich zustürmt, bestimmt zum Motzen, weil ich schon wieder ein Mädchen am Set habe. Dabei kann ich diesmal nichts dafür, die haben sie mir einfach hergesetzt.
„Ey Bro, ist dir klar, dass THE WORLD alle anderen Serien abgesetzt hat? Die wollten jede Konkurrenz ausschalten. Der ganze Umsatz von THE WORLD fließt jetzt in `Heroes´, alles hängt von uns ab!“
„Krass, aber yolo[v]! Warts ab, diese fiktive Demo in der Folge heute wird unser Orgasmus, weil die Einschaltquoten knallen werden“, ich recke meine Faust in die Höhe, hab ich mir vom schönen Jo abgeguckt. „Und das hier spiel ich für die Knutschszene von Anouk und Joe gleich ein.“ Meine Finger fliegen über den Verstärker.
„Eine der vielen Specials unserer deutschen Ausgabe ist es ja, immer wieder Teile von Bowies „Heroes“-Song in den Soundteppich einzuflechten. War meine Idee“, sage ich in Mathas Richtung und zu beiden: „Hört mal:“
And the guns shot above our heads
And we kissed as though nothing could fall
And the shame was on the other side
Oh we can beat them forever and ever
Unser Producer blickt mich runden Auges an. Er scheint sich gar nicht wieder einzukriegen angesichts meiner musikalischen Kreativität. Vielleicht hätte ich doch DJ werden sollen.
„Und über diese Szene lege ich Schussgeräusche“, ergänze ich, „die deutsche Regierung schießt auf unsere Helden, werde ich im Kommentar behaupten. Wird jeder glauben, die Politiker haben bei Clic Cloc eh gerade abgekackt wegen ihrer Resolution für ein demokratischeres Netz. Ganz nebenbei gesagt: Das wird ein echtes Problem für THE WORLD, aber darum kümmern wir uns später.“
Shit, im Eifer des Gefechts hab ich mich verplappert, merke ich jetzt, aber Martha wird mich sicher begehren, wie ich bin. Macht macht auch sexy.
„Jedenfalls lass ich den Sound dann direkt in unseren Jingle wabern:“
we can be heroes
just …
„Alter, was laberst du? Kriegst du gar nichts mit? Für Deutschland fällt unsere Quote sekündlich, gerade noch 20.000 Zuschauer haben wir, von THE WORLDs schwindenden Verkaufszahlen hier in Berlin ganz abgesehen.“
„What? Willst du mich verarschen? Wo sind sie hin, unsere Zuschauer?“
„Na da, wo du sie hingelockt hast mit der Werbung für deine Demo-Folge heute, du Genie – auf der Straße!“ Sein Zeigefinger weist nach draußen.
Um aus unserem gläsernen Turm zu gucken, schirme ich die siedende Sonne mit den Händen ab. Martha tut es mir gleich. Ein Aktivistenteppich wabert dem Horizont entgegen. An die eine Million Menschen, schätze ich. Transparente flattern die Straße des 17. Julis entlang bis hinauf zur Siegessäule. Dieser Zug steuert direkt auf uns zu.
„Safe our planet – kill THE WORLD!“, lese ich und „Schalte dein Hirn ein und THE WORLD ab!“ Ich blicke wieder auf den Screen und kontrolliere das Transparent von Anouk und Jo: „Shave THE WORLD!“ Vorhin hatte ich mich leider verlesen.
„Aber die dürfen doch nicht einfach unsere Serie kapern, um dann gegen uns zu demonstrieren!“ Ich kann es nicht glauben.
„Doch, Versammlungsfreiheit, seit 80 Jahren durchs Grundgesetz gesichert“, zischt Martha und schnappt sich ihre Tasche. Was für eine bekloppte Streberin! Um dem Blick unseres Producers nicht zu begegnen, starre ich weiter auf den Bildschirm. Anouk bleckt ihre makellosen Zähne und Jo reckt seine Faust gen Himmel, heute aber ohne Digiwatch. Nichts haben die im Hirn, hatte ich geglaubt, schon gar nichts gegen uns. Nun bilden die beiden die Spitze des Speers, den sie uns entgegen richten. Die eigenen Kinder fressen unsere Revolution, so lost! Und zwischen den beiden tritt jetzt Greta hervor. Durch den Bildschirm stiert sie mich an, ihre Augen blitzen überraschend vital.
Während ich versuche, mich zu beruhigen, schallt mir die Stimme vom guten alten Bowie entgegen. In all dem Chaos habe ich vergessen, die Musik abzudrehen. Irgendwie muss ich an den Aufnahmebutton gekommen sein, jedenfalls senden wir in voller Lautstärke die letzte Strophe von `Heroes´, die niemals in unserer Serie hätte landen dürfen:
We are nothing
And nothing will help us.
Maybe we’re lying
Then you better not stay
Martha seh ich nur noch von hinten, sie rennt in Richtung Fahrstuhl. Garantiert will sie mitmischen da unten, so wird die nie Karriere machen. Ist mir eh viel zu jung, die blöde Gans. Und Versammlungsfreiheit, dass ich nicht lache. 80 Jahre, uralt dieser Bullshit und hat bisher nichts als Unruhe gebracht, meine Meinung. Für mich wars das jedenfalls, soviel ist klar. Ich gebe das Zeichen für den Abspann.
we can be heroes
just for one day
we can be heroes
just for one day
we can be heroes
just for one day
Bevor der Babo noch was sagen kann, bin ich raus und weg. Vielleicht werde ich nun doch noch DJ, liegt mir eh viel mehr als das verlogene Gequatsche hier. Berstende Hitze flasht mich, als ich auf die Straße trete. Dazu die ganzen Menschen. Die meisten sind jung, viele hübsche Mädchen laufen hier herum, alle leicht bekleidet. So gesehen ist Versammlungsfreiheit doch ganz geil. Aber ich bin nicht in Stimmung für Mädchen, immerhin hab ich gerade meinen Job verloren. Bin ich überhaupt noch wer?
Ich ziehe mein Handy aus der Jeanstasche und filme mich selbst auf dieser Demo des Jahrhunderts – für den ersten Post meines neuen Cinstagram-Profils, als aufstrebender DJ brauche ich ein cooles Image. Dann lasse ich mich treiben im Strom der Menschen, immer der Sonne entgegen. Verdammt heiß ist`s heute, mindestens 35 Grad. Dass es während der letzten Jahren immer wärmer geworden ist, störte im gläsernen Turm kaum, der ist klimatisiert. Aber hier draußen …, ich wische mit dem Handrücken über meine tropfnasse Stirn. Und dann die ganzen Horrormeldungen durch den Klimawandel, die wir von da oben beschönigen mussten. Ich bin echt ein harter Hund inzwischen, aber die verdurstenden Kinder letztens haben selbst mich nicht kalt gelassen.
Und die neue Vorgabe mit der Querfront erst, die wir mit den Nazis bilden sollen! Ich mein, ich bin selbst Migrant, 2. Generation zwar, aber trotzdem irre. Was da in letzter Zeit lief, war sowieso Scheiße, auch das extreme Hochfahren der Werbeschiene. Angefangen hatte es ja mit `ner coolen Idee, damals in den USA, die Doku über Youngsters im Kampf gegen den Klimawandel. Und die Chance, ohne Schulabschluss Regisseur der deutschen Ausgabe zu werden, bekam ich eben nur mit THE WORLD als Arbeitgeber. Aber dann das immer extremere Faken, das der Babo verlangte. Und eigene Meinung ist nicht bei THE WORLD, die haben nicht mal `n Betriebsrat, amerikanischer Konzern eben. Und der entwickelte sich dann ja in eine echt creepy[vi] Richtung, von wegen Klimaschutz wäre schlecht für den Betrieb. Ich atme tief ein und wieder aus. Das tut gut, hab ich lang nicht gemacht, so bewusst geatmet. Ganz schön fremdgesteuert war ich in letzter Zeit, hab mich irgendwie total verloren.
Kein Wunder, dass ich jeden Tag ein neues Mädchen wollte. Gespürt hab ich ja trotzdem nichts, total abgeschnitten innerlich. Aber das ist jetzt vorbei. Ich fühl mich leicht wie lange nicht. Endlich darf ich wieder denken, was ich will. Und die anderen können das meinetwegen auch, mir doch egal, was es für THE WORLD bedeutet.
Ich blicke auf die unzähligen Menschen, die ihren Feind wie selbstverständlich zwischen sich aufnehmen, als wäre ich ein Teil von ihnen. Zum Glück kennt niemand das Aussehen vom deutschen „Heroes“-Regisseur, naja, vom ehemaligen inzwischen immerhin. Zusammen skandieren sie gerade: „Fuck THE WORLD, safe our planet.“ Geiles Gemeinschaftsgefühl hier. Irgendwie doch cool, dass die für ihre Meinung auf die Straße gehen. Sonst ändert sich ja nie was. Und wenn ich ehrlich zu mir bin, was ich ab sofort unbedingt wieder sein will, sehe ichs genauso, denke ich noch, bevor ich mitgröle. Wütend recke ich die Faust gen Himmel.
[i] Die Textzitate (kursiv gedruckt) stammen von David Bowies Song „Heroes“, 1977.
[ii] Aura (Jugendwort 2024) heißt soviel wie Ausstrahlung oder Charisma.
[iii] Prepper bezeichnet Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf verschiedene Arten von Katastrophen vorbereiten.
[iv] Babo (Jugendwort 2023) bedeutet Chef oder Boss.
[v] Yolo: Bei diesem jugendsprachlichen Ausdruck handelt es sich um die Abkürzung für ‚you only live once‘ (‚man lebt nur einmal‘).
[vi] Creepy ist ein jugendsprachlicher Ausdruck für gruselig, merkwürdig.