Wir sind Fremde geworden. Das sagst du nun jedes Mal, wenn du den Laptop schließt und dich zu mir auf die Couch setzt. Du möchtest unter meine Decke, aber ich zögere. Dieses Zögern verfolgt mich bis in unser Bett. Vielleicht nimmst du es nicht einmal wahr. Denn bist du nicht am Laptop, dann hast du dein Handy in der Hand. Ich weiß, dass du wieder mit ihr beschäftigt bist und es macht mich wütend. Doch das Brodeln bleibt unter der Oberfläche meiner Haut, die sich nach dir sehnt. Abends legst du dich neben mich ins Bett, als würde sie gar nicht existieren. Der Gedanke an sie treibt mich um, aber lässt dich gut schlafen. Selbst in meinen Alpträumen ist sie es, die mir den Frieden nimmt.
Sie kam vor Wochen oder Monaten in unseren Kreis. Zugegeben, es ist eher dein Kreis, in den ich irgendwann dazu kam. Der Prozess war anfangs schleichend, deshalb kann ich keinen genauen Zeitpunkt ausmachen, seitdem sich etwas änderte. Vielleicht waren die Anzeichen auch schon da, bevor mich eine gemeinsame Freundschaft zu euch führte. Es kann sein, dass ich gar nichts davon ahnte, als du mich zum ersten Mal gesehen hast. Wir wussten beide, das hier wird schwer für uns. Dennoch wagten wir es. Ich fand dich gut. Wir teilten viele Schmerzen und den Hass, den wir an diesem Ort gegen uns selbst richten mussten, damit wir den anderen Hass ertragen konnten. Alles ging ganz langsam vorwärts. Das gefiel mir.
Wir hatten Angst vor unseren Eltern und noch mehr vor dem Kreis aus Menschen, der uns in der Jugend wachsen ließ. Die Abenteuer in der Kleinstadt, die geprägt waren von krassen Sommern und experimentellen Wintern. In kalten Kellerbuchten rutschten wir bei Glühwein aus dem Wasserkocher zusammen. An den heißen Sommertagen schwammen wir nackt in den alten Baggergruben am Rand der Stadt. Alles war staubig trocken oder schmierig feucht. Unter deiner Jacke fror ich nicht.
Als unsere Eltern es erfuhren, sagten sie nichts. Sie spendierten die Einbauküche für unsere Wohnung, die wir uns nach der Ausbildung endlich leisten konnten. Hier durften wir sein. Draußen, meintest du, müssen wir das nicht so zeigen. Das geht keinen was an und außerdem ist es schon schräg, wenn andere es wissen. Das wir uns lieben? Nein, das war nicht das Ding. Das Ding war anders und das sollte ich auch wissen, denn ich bin auch an diesem Ort aufgewachsen.
Das Ding war das, worüber unser Kreis derbe Witze machte. Wir brauchten ihnen gar nicht zu erzählen, was wir in unserem Heim taten, wenn wir nur für uns waren. Sie schienen es zu wissen. Du hast dir nicht anmerken lassen, wie sehr es dich verletzte. Manchmal hast du die Scherze sogar viel weiter getrieben. Ich lächelte nur müde. So lächle ich auch heute, wenn du mir von den ganzen Vorhaben erzählst, die dir durch sie in den Sinn kamen. Es fällt dir gar nicht auf, wie zwiespältig du bist. Und dann wagst du es auch noch, dich neben mich ins Bett zu legen? Du willst mich küssen, willst von mir geliebt werden. Dennoch verrätst du uns.
Mittlerweile bin ich froh, wenn du mit unserem Kreis alleine weggehst. Langsam wird es wieder nur dein Kreis und das ist mir nur recht. Sie fragten anfangs noch nach mir. Aber ich weiß, dass sie immer misstrauischer werden. Irgendwann werden sie dir die Frage stellen, ob du bei mir bleiben willst oder dich für sie entscheidest. Solang ich deine Hemden bügle, ist alles fein. Das sagst du so leicht dahin, damit sie lachen. Doch ich wasche deine Kleidung, hänge sie zum Trocknen auf und bin ganz froh, wenn die Flecken der letzten Kneipentour nicht mehr zu sehen sind. Wenn du von ihnen nach Hause kommst, dann weiß ich, dass du nur über sie gesprochen hast.
Jetzt lege ich dir deine Kleidung auf unser Bett. Die schwarzen Jeans und das gleichfarbige Polohemd. Weiße Socken, ein Schlauchschal, den du dir in dein Gesicht ziehen kannst und diese verdammte Cap wirken fremd in unserem Schlafzimmer. Du kommst gerade aus der Dusche, küsst mich auf die Wange. Deine nasse Haut ist noch warm. Da ist etwas Vertrautes in der Art deiner Umarmung. Dein Duft ist über die Jahre gleich geblieben und niemand anderes darf so riechen wie du. Daran erkenne ich dich immerhin noch, nachdem du dir deine Uniform angezogen hast. Sich unter ihnen einzureihen fällt dir gar nicht schwer. Ich frage mich, wann es dir auffällt, dass du gar nicht in ihre Welt passt. Du hast den Kopf nur voll mit ihr. Du denkst nur an die Idee von unserem, aber eigentlich nur eurem Deutschland.
Fremd im eigenen Land seid ihr geworden. Du bist nur fremd in diesem Zimmer. Neben mir zu stehen sieht albern aus im Spiegel, fällt mir auf. Du ziehst dich einfach nur an. Dabei redest du voller Vorfreude von dem Treffen mit deinem Kreis. Ihr werdet dieses Land aus einer Krise holen, die es gar nicht hat. Die Krise habt nur ihr. Veränderungen haben euch mit der eigenen Stagnation konfrontiert. Was jetzt?
Runter damit, brüllt ihr euch entgegen und leert die Flaschen in euren Händen. Das Klirren ist eure Kriegstrommel. Es peitscht euch an. Ihr haltet die Fahnen hoch und marschiert durch die Kleinstadt, in der wir diese wilden Sommer und kuschligen Winter verbracht haben. Und was ihr verteidigen wollt, entfremdet euch von diesen Momenten. Von unserer Geschichte werden bald nur noch Fotos übrig sein. Es wird mir dennoch schwerfallen mich zu erinnern. Unsere Eltern haben uns sogar ein Buch gebastelt. Sie waren immer froh, dass du so solide bist. Stabile Arbeitsverhältnisse und ein schönes Heim. Vielleicht sogar, irgendwie wird es sicher gehen, eine eigene Familie, die nicht nur aus uns beiden besteht.
Das gilt es zu verteidigen, hast du mir immer wieder gesagt, während du dir die Nachrichten angeschaut hast. An keinem bestimmten Tag hast du damit aufgehört und mich gebeten den Fernseher abzuschalten. Deine Informationen nimmst du dir nur noch von Quellen, denen du vertrauen möchtest.
Alles wird angegriffen, was uns etwas bedeutet hat. Nur verstehen wir beide das anders. Familien werden bedroht, aber nicht von solchen wie uns. Wir sind anders, weil wir ruhig sind oder weil wir uns für die Idee einsetzen. Dabei bemerkst du nicht, dass ich das nicht so sehe. Sind wir wirklich anders oder redest du dir gut zu? Hören dann die Witze auf? Sie werden eher schlimmer.
Pervers sind die anderen. Pervers ist die Welt, in der wir leben. Eine Perversion ist die Freiheit, die du Freiheit nennst und mit der du unterdrückst. In ihr können wir nicht leben. Die Arbeit, die Wohnung, die Pläne und unser Bett wären dann nicht mehr. Verstehst du das nicht, wenn du dich im Rausch dieser Idee fallen lässt? So viel kannst du gar nicht trinken. Das weiß ich, weil ich die Flecken auf deiner Kleidung kenne. Ich kenne sie so gut wie eure Ideen, die nur für euch zugänglich bleiben. Und ich ertrage diese Einsamkeit nicht mehr.
Du stehst neben mir im Flur und ich sehe das Glänzen in deinen Augen. Ein Teil davon ist euren Gesprächen geschuldet, der andere verdeckt als Fahne deinen Duft. Den vermisse ich. Wir sind beide von einer nostalgischen Sehnsucht ergriffen. Hochgestochene Worte, die ich in einem Buch gelesen habe, als du einmal wieder unterwegs warst mit deinem Kreis. Ich schäme mich nicht mal mehr ihn nur noch so zu nennen. Einen eigenen habe ich nicht mehr. Es sind nur noch lose Freundschaften, die mich in ein Café mitnehmen. Dann fragen wir uns die üblichen Sachen. Ich nicke, wenn ich von dem tollen Leben mit Familie und Urlauben höre. Ich will nicht von dir erzählen.
Du freust dich, wenn ich etwas in der Wohnung verändere. Ganz gemütlich findest du meine Einfälle und freust dich, wenn du zu uns kommst und etwas ist ganz neu. Ein sicheres Heim, was du sichern musst. Schon ist alle Freude in mir dahin. Zerplatzen lässt du alles Gute, was ich hierher bringe. Aber deine Wärme würde mir fehlen. Denn du kannst dich aufopfern, Liebe geben und mich tröstend in den Arm nehmen. Dabei weine ich um dich. Wie kannst du so liebevoll für uns sein, aber nicht für andere?
Die Krisen in deinem Kreis haben dich härter gemacht. Zukunftspläne und Sicherheiten sind weggebrochen und es mussten Schuldige gefunden werden. Da waren dann die, die und die besonders gut geeignet. Sie waren nicht wie wir; eigentlich nur ihr. All das andere, was ihr nicht versteht, haben sie hierher gebracht. Manches war sogar schon immer irgendwie da, nur hat es dich vorher nicht gestört. Hast du dir darum wirklich Gedanken gemacht?
Gestern habe ich Bautzen verlassen und dir gesagt, dass ich mich mit einer Gruppe treffe, die ich im Internet gefunden habe. Da müsste ich heute schon hin, damit wir morgen früh woanders hin können, nur das du Bescheid weist. Meine Stimme überschlägt sich, das macht dir Sorgen. So aufgeregt hast du mich schon seit Jahren nicht erlebt. Aber du hinterfragst es nicht weiter, denn wir waren selten über Nacht getrennt. Das macht auch dich nervös, wenn ich nicht neben dir einschlafe.
Gut. Gut. Gut, hast du zwischen meinen Sätzen gesagt und mir meine Zahnbürste gereicht. Dieses große Fragezeichen in deinem Gesicht machte mir ein schlechtes Gewissen. Also gab ich dir schnell einen Kuss auf die Stirn, dann auf die Wange. Ich hielt inne. Meine Augen wanderten zu deinen Lippen. Wir zögerten beide. Warum liebe ich dich? Warum küsst du mich nicht, hast du mich schließlich gefragt. Es wäre albern, es nicht zu tun. Also tat ich es. Wir taten das, wogegen du und wofür ich auf die Straße gingen.
In Leipzig konnte ich wieder atmen. Es war dieser Atem, der angehalten wurde, weil etwas Großes passierte. Doch das funktioniert so nur in den Büchern, die ich las, weil du nicht da warst. Der Gedanke machte mich albern. Ich freute mich hier zu sein. Endlich lernte ich die Menschen kennen, mit denen ich geschrieben habe. Sie winkten mir zu und fragten, ob sie mich umarmen dürfen. Das durften sie, denn hier wurde diese Nähe akzeptiert. Und ich wollte mehr davon.
Wir verloren auch keine Zeit. Sie zeigten mir die Stadt und erzählten mir mehr, als ich behalten konnte. Am Ende ließ ich mich erschöpft auf einem Stuhl in einer Bar fallen. Wir bestellten Cocktails ohne Alkohol, damit wir diesen Moment ganz genießen konnten. Das kannte ich aus deinem Kreis nicht. Ich hatte ab diesem Tag meinen eigenen. Und er machte mich hungrig und wild. Es wurden viele Ideen besprochen, die wir teilten oder an denen wir uns rieben.
Die Energie kam in meinen Körper zurück. Ich war im Rausch der Einfälle ganz übermütig geworden. Da haben wir mir die Haare abrasiert. Das ist meine Freiheit, für die ich kämpfen will. Und wenn es nur noch der Haarschnitt war, der dir an mir gefällt, dann sei es so.
Nervös war ich trotzdem, als ich dir am Morgen ein Bild von meinen grünen Docs mit den neuen, bunten Schnürsenkeln schickte. Du hast mit einem Bild deiner schwarzen Martens geantwortet. Deine Schnürsenkel waren weiß. Daraufhin folgten Herzen von uns beiden.
In den Stiefeln wippte ich angespannt in der Bahnhofshalle hin und her. Es war ohrenbetäubend laut, weil ihr und wir schrien. Wir brüllten uns die Lungen wund gegen eure schwarz, weiß, rote Wand aus Hass. Ich war mir unsicher, ob wir uns erkennen würden. Aber ich kannte dein Schild aus Bautzen. Als ich es erspähte, wurde es für einen Augenblick ganz still in mir. Dann bewegten sich meine Füße automatisch nach vorn. Mein Körper schob sich durch die Menge direkt auf dich zu.
Queer ist kein deutsches Wort. Ich erinnere mich, wie du mich nach dem Karton gefragt hast. Du warst extra in einem Geschäft, um dir die Marker zu kaufen. Sie stanken schrecklich. Stolz hast du es mir gezeigt. Ich nickte nur und lächelte, weil ich keine andere Antwort kannte. Jetzt hatte ich viele.
Neben dich drängte sich ein zweites Schild. Homos haben keine deutsche Geschichte. Und was ist mit Magnus? Was ist mit Magnus? Ihn gab es schon vor hundert Jahren und er wusste auch, dass es uns schon viel länger gab. Und das es gut so ist, wie wir sind. Das hätte ich am liebsten über das Brüllen, über das Tosen hinweg geschrien. Ich wollte es dir so gern in dein Gesicht spucken, das du unter deiner Cap und in deinem Schlauchschal versteckt hast. Ich hole tief Luft und gebe meiner Stimme alle Kraft, die ich aufbringen kann.
„Essen wir heute Abend Pizza oder Döner?“ Du siehst mich mit großen Augen an. Vorher hast du mich nicht erkannt. Jetzt wird dir bewusst, wer vor dir steht. Du musterst meine neue Frisur. Dass du ganz verwirrt bist, sehe ich an deinem Blick. Die Polizei drängt sich zwischen uns. Für einen kurzen Moment verliere ich dich aus den Augen. Dann tauchst du wieder auf. Du hast den Schal nach unten gezogen, damit ich dein Gesicht sehen kann.
„Die haben meinen Perso. Das dauert. Der Dönerladen hat länger auf.“ Ich nicke und schiebe mich zu meinem neuen Kreis zurück. Magnus würde sich fragen, was mit mir ist. Ich frage mich, wie lange halte ich das noch aus?