Wenn wir uns versammeln

von Freya Baur

Wenn wir uns versammeln, sind wir zusammen, dann sind wir gemeinsam und nicht allein, dann sind wir viele. Dann sind wir nicht mehr allein in einem Jugendzimmer, in dem irgendwo ein Pferdeposter noch nicht abgenommen wurde, der Legobausatz nicht fertig ist. Dann sind wir nicht mehr dreizehn, vierzehn, fünfzehn und kommen nach der Schule nach Hause, in der wir uns anders gefühlt haben und fremd und trotzdem mitgemacht haben, weil wir nicht allein sein wollten. Dann sind wir nicht mehr einsam und lesen Werther oder Rimbaud oder Grey. Dann liegen wir nicht mehr auf dem Bett und starren zur Decke, melancholische Musik als Soundtrack, vor dem wir spielen, wer wir sind.

Wenn wir uns versammeln und uns ansehen und uns zur Begrüßung in die Arme nehmen, sind wir nicht allein mit all den Unsicherheiten aus der Zeit im Jugendzimmer, als etwas in uns schon sehnsüchtig war, wir aber noch nicht wussten, was das ist, das da so zieht und wummert und nach draußen will. Wir haken uns unter, denn wir wollen uns versammeln, jetzt, Jahre später, als die Jugendzimmer heruntergekommenen WGs und Studios im Dach gewichen sind. Wir trinken Martini, der nicht so heißt, der nur vier Euro gekostet hat und verschränken unsere zwei Arme, verhakeln unsere zehn Finger und rumpeln auf ausgetretenen Holzstufen knarrend hinab auf die Straße, denn wir wollen uns versammeln. Wir laufen im Gleichschritt unserer vier Füße und bremsen im Staccato unserer Lippen, die sich treffen, sich trennen und wir laufen trotz des Regens, denn wir wollen uns versammeln an einem Ort und wollen lachen und reden und anstoßen und sein, wollen die Welt retten heute Nacht, wollen Politik machen und eine neue Welt in ganz klein, nur für uns und später mal, wenn wir groß sind, aber bis dahin müssen wir noch laufen, während um uns herum die Lichter blitzen, vorbeiziehen und die Luft leicht ist, die unsere Lungen erfüllt nach den Jahren im Jugendzimmer und dem Muff ungeöffneter Fenster und geöffneter Chipstüten und all dessen, was ungesagt dazwischen hängt.

Wir gehen schneller, denn wir wollen uns versammeln und uns alles sagen können, wollen gemeinsam darüber lachen, wie blöd wir waren und wie fadenscheinig unser Theater und uns versichern, dass wir genau richtig sind, genau jetzt, genau hier. Wir haben Plakate geklebt, damit auch andere uns finden und wir alle einsammeln können, die noch nicht Zuhause sind. Wir schauen uns an, von der Seite und der Weg ist nicht mehr lang, schon die ersten Transparente, die weit über den Uniplatz leuchten, schon das Alte Auditorium und die ersten vertrauten Gesichter von Weitem, mit denen wir uns versammeln wollen.

Wir sind ganz im Gehen, im Schauen, im Zusammensein und dann Stopp. Er steht da. Er ist nicht groß und nicht klein, er ist sehr weiß. Er sieht uns an. Er senkt den Blick dahin, wo wir Buttons an den Jacken tragen. Er sieht gepflegt aus. Er öffnet den Mund. Er verzieht den Mund. Er grinst hämisch. Er trägt einen Anzug unter dem Mantel. Er tritt auf uns zu und nennt uns pelzig. Er nennt uns viele Dinge. Er tritt auf uns zu und bewegt die Arme. Er sagt noch mehr Dinge und hat Spucke auf den Lippen. Er fuchtelt mit den Armen. Er tritt auf uns zu. Er ballt die Hände zu Fäusten. Er spricht. Er spricht laut. Er spricht von seinem Deutschland. Er hebt die Fäuste. Er schreit –

und dann versammeln sich vertraute Gesicht um uns herum, komme über den Rasen, kommen von der Bushaltestelle, kommen gelaufen und stellen sich den Fäusten und den Worten entgegen, stellen ihn. Ihr Pelzigen, sagt er ein letztes Mal, versucht es zu schreien, mein Deutschland, aber da ist es schon nur noch ein Flüstern.

Wenn wir uns versammeln, sind wir zusammen, dann sind wir laut und nicht allein, dann sind wir viele, die zusammenstehen.