22.-25. Februar 1986: Über 2 Millionen Menschen protestieren auf den Philippinen.
Bevölkerung der Philippinen 1986: 56,11 Millionen Menschen
Über 3,5 % (1.963.850 Menschen) waren auf der Straße.
25. Februar 1986: Ferdinand Marcos flieht.
6. November 1989: 500.000 in Leipzig. Hunderttausende mehr in der ganzen DDR.
Bevölkerung der DDR 1989: 16,434 Millionen Menschen
Über 3,5 % (575.190 Menschen) waren auf der Straße.
9. November 1989: Die Mauer fällt.
24. November 1989: 800.000 in Prag. 100.000 in Bratislava. Tausende mehr in der ganzen Tschechoslowakei.
Bevölkerung der Tschechoslowakei 1989: 15,64 Millionen Menschen
Über 3,5 % (547.400 Menschen) waren auf der Straße.
29. November 1989: Die Bestimmung über die führende Rolle der Kommunistischen Partei in der Verfassung wird aufgehoben.
21. November 2003: 100.000 in Tiflis. Tausende mehr in ganz Georgien.
Bevölkerung von Georgien 2003: 3,952 Millionen Menschen
Über 3,5 % (138.320 Menschen) waren auf der Straße.
23. November 2003: Schewardnadse verkündet seinen Rücktritt.
Die Geschichte lehrt, dass gewaltfreie Protestbewegungen, welche die aktive Unterstützung von mindestens 3,5 % der Bevölkerung gewinnen, eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, erfolgreich zu sein.
Der Schlüssel der Lebenserhaltung eines Systems ist es, unter diesen 3,5 % zu bleiben.
*
»Mit sofortiger Wirkung wird bekannt gegeben, dass fortan jede Zusammenkunft, die regional oder überregional einen höheren Anteil als 3,5 % der Bevölkerung umfasst, vom Gesetz her verboten ist.«
Das war der Anfang.
Der Aufschrei war leise. Die meisten Menschen stören sich erst an einer Freiheitseinschränkung, wenn es ihre privateste Sphäre betrifft. Doch sie durften immer noch raus. Immer noch mit Freunden trinken gehen. Immer noch nachts um halb vier nach Hause stolpern. Schlafen mit wem sie wollten.
Dennoch gab es Zweifler.
»Dies dient der Terrorismusabwehr. Studien haben ergeben, dass Zusammenkünfte oberhalb dieses Schwellenwertes ein signifikant erhöhtes Anschlagsrisiko haben.«
Das war die Erklärung.
Wenn es um Sicherheit geht, schlucken die Menschen alles. Sicherheit geht über Freiheit. Sicherheit geht vor Freiheit. Sicherheit geht nie mit Freiheit einher.
Geschichtsbücher wurden umgeschrieben. Zahlen vergessen, andere hervorgehoben. Der Blickwinkel allein kann eine Fälschung sein.
Jahrmärkte in kleinen Städten bekamen Einlassschranken, Flughäfen wurden überregionalisiert, Dorffeste mit Sondergenehmigungen versehen.
Es lebt sich nicht schlecht so unter den 3,5 %. Im Grunde fällt die Regel gar nicht auf.
3,5 % Prozent: Das sind über 100.000 in einer Stadt wie Berlin.
3,5 % Prozent: Das sind über 20.000 in einer Stadt wie Dresden.
3,5 % Prozent: Das sind nur 350 in einer Stadt wie meiner.
350 sind schnell einer Meinung.
350 sammeln sich schnell zum Protest.
350 sind ein Sicherheitsrisiko.
Wir waren offiziell unbequem geworden. Wir waren stolz darauf.
Wir mussten kontrolliert werden.
Sondergenehmigungen wurden wieder gestrichen.
In dem Sommer, in dem ein Dorf sich nicht mehr zum gemeinsamen Bier versammeln kann, ist das vermeintlich wohlwollende System zur Diktatur avanciert.
Diktaturen greifen immer die Versammlungsfreiheit an. Nur das Spektrum an Gründen ist variabel. Und je mehr eine Diktatur auf den eigenen Heiligenschein gibt, desto fantasievoller die Gründe.
Das war die Geburtsstunde der Revolution.