Abendliche Szene in einem gut gefüllten Jugendclub in Berlin-Wilmersdorf. Eine Gruppe von Gästen unterhält sich an der Theke über eine für den kommenden Tag geplante Demonstration. Ein schlanker Mann, etwa Mitte zwanzig, mischt sich in das Gespräch ein.
„Tschuldigung, aber ich habe mitgehört und muss mich jetzt doch einmischen: So schlimm, wie ihr das gerade hier schildert, kann es doch eigentlich gar nicht sein.“
„Was kann eigentlich nicht so sein?“
„Na, dass man so hart mit den Demonstranten umgeht. In der heutigen Zeit. Immerhin gibt es ein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, da kann nicht jeder machen und tun, was er will. Nicht mal die Polente.“
„Tja. Dann nenn es eben schlichten polizeilichen Übereifer oder sonst was. Eins ist jedenfalls klar, mein Freund, du bist mehr als blauäugig. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen … oder besser gesagt an eigener Haut erlebt. Die Polizisten gehen mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten vor. Nicht nur einmal. Die halten voll drauf und sind nicht gerade zimperlich, glaub‘s mir!“
„Aber das kann doch eigentlich gar nicht sein. Ihr könnt gegen solche Angriffe vorgehen. Die können nicht einfach eigenmächtig …“
„Und ob die können. Wer soll die denn bremsen? Zu mir sagte letzte Woche so ein Uniformierter: „Früher hätten sie Gammler und Arbeitsscheue wie euch ins Arbeitslager gesteckt“. Das sind alle miteinander eingefleischte Faschisten. Denen macht es Freude, auf uns einzuprügeln. Es wird höchste Zeit, das System kritisch zu hinterfragen. Und wenn das nicht friedlich funktioniert, dann …“
„Dann was?“
„Dann muss man sich etwas einfallen lassen.“
„Gewalt ist keine Lösung“
„Sich von den reaktionären Dummköpfen verprügeln zu lassen, ganz sicher auch nicht. Irgendwer muss die verstaubten Verhältnisse auf den Kopf ehrlich. Mal ehrlich, hat sich in den letzten 20 Jahren denn wirklich etwas verändert? Wenn du siehst, wie mit uns umgegangen wird, das entlarvt dieses System der Repression. Das Establishment hat sich keineswegs verändert, und es fehlt auch der Wille dazu. Wie anno dazumal. Die stecken alle noch inmitten des Muffs von 1000 Jahren. Das fällt nur dem friedlichen Nachbarn nicht auf, da er so wunderbar in dieses verkrustete System hineinpasst.“
„Da gebe ich dir recht. Aber trotzdem, dass die Berliner Polizei so brutal sein soll… vielleicht sind das nur Ausnahmefälle.“
„Du bist ein Träumer. Komm doch einfach morgen vorbei, dann wirst du aufwachen. Du hast doch bestimmt vom Besuch des Diktators gehört, oder? Diesem Folterknecht rollen unsere verehrten Funktionäre auch noch den roten Teppich aus.“
„Selbstverständlich habe ich das mitbekommen. Eben noch hörte ich mir, an der Uni einen Vortrag zu ihm an. Unglaublich. Was für ein Monster. Eine Schande, dass die da oben so einen eingeladen.“
„Warum gehst du mit uns nicht morgen zur Demo? Wir treffen uns an der Krumme Straße vor der Oper und verderben denen den Spaß.“
„Ich weiß nicht. Ich war noch nie auf einer Demonstration. Meine Frau ist schwanger, wenn da etwas passieren würde…“
„Na ja, du warst eben noch so überzeugt davon, dass die Polente keinem ein Haar krümmt. Mach dir doch einfach selbst ein Bild. Wir haben Spruchbänder und Schilder dabei. Überleg dir was Gutes und komm mit.“
„Gut, okay. Das wird sicher halb so schlimm. Dann guck ich mir das morgen selbst an. Macht‘s gut, wir sehen uns!“
„Ja. Wir sehen uns … Eh, Sekunde mal noch. Wie heißt du eigentlich?“
„Ich bin Benno Ohnesorg.“
Am 2. Juni 1967 demonstrieren rund 2000 Menschen gegen den Staatsbesuch des persischen Herrschers Schah Reza Pahlevi, dem gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Unter ihnen, friedlich und unbewaffnet, der Germanistikstudent Benno Ohnesorg. Die Polizei geht mit enormer Brutalität gegen die Demonstranten vor. Ohnesorg eilt Flüchtenden, die von Ordnungshütern in den Hinterhof des Hauses Krumme Straße 65/66 getrieben werden, zur Hilfe. Eine Kugel aus der Dienstwaffe des Zivilpolizisten Karl-Heinz Kurras trifft Ohnesorg kurze Zeit später am Hinterkopf. Er stirbt noch auf dem Weg in eine Klinik. Obwohl im November 1967 vor Gericht widerlegt werden kann, dass es sich bei dem Schuss, wie von Karl-Heinz Kurras behauptet, um Notwehr handelte, wird der Schütze vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.
Die unverhältnismäßige Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden, die Ermordung Benno Ohnesorgs und der Umstand, dass Kurras in keiner Weise zur Rechenschaft gezogen wird, facht die politische Auseinandersetzung weiter an. Die Studentenbewegung radikalisiert sich.